DIVINO - Das Magazin | N° 1/2021 Frühjahr - Sommer
[divino-freude] Wir können uns nicht auf Befehl freuen. Wir können Freude auch nicht einfach machen. Freude ist die emotionale Reaktion auf ein gutes Leben, auf eine schöne Begegnung, auf ein gutes Gespräch, über das Gelingen einer Aufgabe. Aber – so meinen manche Psychologen – wir können uns auch für die Freude entscheiden. Wir können durch eine wunderbare Gegend wandern und trotzdem nur darüber jammern, was alles schief läuft in unserem Leben. Gerade während der Corona-Krise gibt es Menschen, die alles pessimistisch nur sehen. Ich kann ihnen nicht sagen, sie sollten sich freuen. Aber sie sollten sich trotzdem entscheiden, ob sie sich nur auf die negativen Nachrichten fixieren möchten oder aber ob sie mitten in der Krise mit all ihren Widrigkeiten trotzdem Ja sagen zu ihrem Leben. Ich kann die schöne Frühlingslandschaft bewundern. Dann werde ich mich an ihr freuen. Ich kann aber auch die Augen vor ihr verschließen und mich auf meine Enttäuschungen fixieren. Die Bibel sagt vom Wein, dass er das Herz des Menschen erfreut. (Ps 104,15) Sich gemeinsam beim Weintrinken zu freuen am guten Geschmack des Weines und am gemeinsamen Gespräch, das entspricht dem Wesen des Weins. Aber es gibt auch Menschen, die beim Weintrinken immer melancholischer werden und anfangen, nur über ihr Leben zu jammern. Sie haben die Gabe Gottes nicht verstanden, der uns den Wein bewusst geschenkt hat, damit wir uns freuen können. Aber es braucht dann eben auch die rechte innere Haltung beim Weintrinken. Freude entsteht, wenn ich mich bewusst auf das Weintrinken einlasse, wenn ich den Wein in meinem Mund zergehen lasse und ihn genieße. Freude ist Ausdruck von Genuss. Gierige Menschen können nicht genießen, sie sind auch unfähig, sich zu freuen. Es braucht also die innere Offenheit, sich durch den Wein und durch die Menschen beschenken zu lassen. Wer meint, er können alles machen, was er wolle, der ist unfähig zur Freude. Freude hat immer mit Geschenk zu tun. Ich freue mich, wenn mir ein Mensch ein Lächeln schenkt, wenn er mir seine Zuwendung schenkt, wenn er sich auf mich einlässt. Freude bedeutet nicht, dass ich das Negative aus meinem Leben verdränge. Es tut sogar gut, darüber zu sprechen, aber dann immer mit der Hoffnung, dass ich durch das Gespräch eine neue Sicht auf meine Probleme finden werde, und dass ich mich mitten in meiner Situation, ganz gleich wie schön oder schwer sie nach außen hin ist, freuen kann an meinem Leben. PATER DR. ANSELM GRÜN, ABTEI MÜNSTERSCHWARZACH Anselm Grün OSB (geb. am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen als Wilhelm Grün) ist deutscher Benediktinerpater, Autor spiritueller Bücher, Referent zu spirituellen Themen, geistlicher Berater und Kursleiter für Meditation, Kontemplation und geistliches Leben. Mit rund 300 lieferbaren Titeln, die bisher in einer Gesamtauf lage von über 14 Millionen weltweit verkauf t wurden, ist Pater Anselm Grün einer der meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Seine Bücher wurden in dreißig Sprachen übersetzt. www.anselm-gruen.de 44 45 Nº 1 / 2021 PATER ANSELMS KOLUMNE
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