DIVINO - Das Magazin | N° 2/2021 Herbst - Winter

[divino-stillstand] Die Pandemie hat in manchen Bereichen unseres Lebens einen Stillstand bewirkt. Auf einmal ging es nicht mehr weiter wie gewohnt. Viele haben Angst vor dem Stillstand. Er ist so ungewohnt. Und Stillstand stellt uns vor die Frage: Wie geht es wirtschaftlich weiter? Stehen wir jetzt vor dem Aus, weil sich nichts mehr bewegt? Oder müssen wir uns nur verabschieden von der Illusion, dass es immer schneller geht und immer mehr Wachstum sein muss? Doch der Stillstand fordert uns auch persönlich heraus, wie wir damit umgehen, ob wir wirklich mal stehen bleiben und darüber nachdenken, was er uns sagen möchte. Der hl. Benedikt kannte zu seiner Zeit Mönche, die ständig umherwanderten und sich nie irgendwo fest nieder ließen. Er nennt sie Gyrovagen. Benedikt mahnt seine Mönche vor diesem ständigen Herumwandern. Er setzt dagegen auf die „Stabilitas“, auf die Beständigkeit. Das meint einmal Bleiben in der Gemeinschaft, zum andern aber auch Bleiben am gleichen Ort. Das hat dazu geführt, dass die Mönche den Ort, an dem sie sich niedergelassen haben, auch gepflegt haben. So haben sie Weinberge angelegt, wie es heute jeder Winzer tut, um auf diesem Fleck Erde zu bleiben. Ein guter Wein wächst nur in der Beständigkeit. Doch Beständigkeit ist auch ein inneres Thema. Wir haben Angst vor dem Stillstand, weil wir dann mit uns selbst konfrontiert werden. Wir haben so viele Fluchtmöglichkeiten, um der eigenen Wahrheit aus dem Weg zu gehen. Wir schauen alle halbe Stunde auf unser Smartphone, was es da für Neuigkeiten gibt. Und wir sind wie die Gyrovagen, die immer unstet sind und nie beständig, die heute hier und morgen da anfangen, aber sich nie auf etwas fest einlassen. Wenn wir aufhören, vor uns selbst davon zu laufen und einfach stehen bleiben und innehalten, dann werden wir mit unserem Inneren konfrontiert. Doch viele haben Angst, in das Innere zu schauen. Sie geraten in Panik. Da könnte ja hochkommen, dass ihr Leben nicht stimmt, dass sie an ihrem wahren Selbst vorbeileben. Wir können die eigene Wahrheit nur anschauen, wenn wir sie nicht bewerten. Wir brauchen die Haltung: Alles darf sein. Ich schaue mit einer gewissen Neugier in mich hinein, und ich halte alles, was da in mir hochsteigt, Gott hin. Ich stelle mir vor, dass alles von Gottes Liebe durchdrungen wird. Dann werde ich innerlich ruhig. Dann kann ich den Stillstand genießen. Dann ist er nichts Starres, sondern ich entdecke beim Innehalten in meinem Inneren Haltungen, die mir Halt geben. Ich erlebe auf einmal eine Ruhe, die mir gut tut. Doch es ist keine leblose, sondern eine lebendige Ruhe. PATER DR. ANSELM GRÜN, ABTEI MÜNSTERSCHWARZACH Anselm Grün OSB (geb. am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen als Wilhelm Grün) ist deutscher Benediktinerpater, Autor spiritueller Bücher, Referent zu spirituellen Themen, geistlicher Berater und Kursleiter für Meditation, Kontemplation und geistliches Leben. Mit rund 300 lieferbaren Titeln, die bisher in einer Gesamtauflage von über 14 Millionen weltweit verkauf t wurden, ist Pater Anselm Grün einer der meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwar t. Seine Bücher wurden in dreißig Sprachen übersetzt. www.anselm-gruen.de DIVINO MAGAZIN·Nº 2/2021 39 PATER ANSELMS KOLUMNE

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