[divino-frieden] Der Krieg in der Ukraine hat in vielen Menschen schmerzliche Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg wachgerufen. Viele fühlen sich ohnmächtig, wenn sie die Bilder der Zerstörung in den Medien sehen. Manche verlieren dann die Freude am Leben. Doch wenn wir uns von der Ohnmacht beherrschen lassen, helfen wir niemandem damit. Wir sollen uns eingestehen, dass wir selber den Krieg nicht beenden können. Es ist gut, wenn wir mit den Menschen in Not solidarisch sind. Wir können unsere Solidarität zum Ausdruck bringen, indem wir für diese Menschen beten. Beten ist nicht etwas Passives. Solange wir beten, hoffen wir. Die Hoffnung aber weckt uns auf und zeigt uns Wege, was wir selbst tun können. Der griechische Philosoph Heraklit sagt: „Wer nicht das Unverhoffte zu hoffen wagt, wird es nie erlangen.“ Die Hoffnung lässt uns nicht in der Passivität oder Depressivität versinken. Sie ermutigt uns, das zu tun, was in unserer Hand ist. Und die Hoffnung, dass Gott jedes Schicksal zu wenden vermag, erlaubt uns auch, trotz aller Not, die wir um uns herum sehen, miteinander zu feiern, miteinander mit gutem Gewissen ein Glas Wein zu trinken und zu genießen. Dann setzen wir gegen alles Lebensfeindliche die Lebendigkeit des Miteinanders. Wir fliehen nicht in eine schöne Scheinwelt. Die Welt des schönen Miteinanders, die Welt des ungezwungenen Feierns ist genauso real wie die Welt des Krieges. Und es ist legitim, dass wir aus der grauen Welt der Not, die jeder von uns kennt, immer wieder ausbrechen in die Welt des Schönen, in die Welt der Liebe, in die Welt der Freude. Wir fliehen dann nicht vor der Welt der Not. Vielmehr können wir dann, wenn wir in die Welt des Schönen eintauchen, das Leben mit seiner oft grausamen Realität besser ertragen. Der russische Dichter Dostojewski meinte einmal, er müsse wenigstens einmal im Jahr die Schönheit der sixtinischen Madonna in Dresden anschauen, um sein Leben ertragen zu können, das von vielen inneren und äußeren Nöten geprägt war. Wenn wir beim gemeinsamen Feiern und Genießen in die Welt des Schönen eintauchen, dann lassen wir uns von der Not nicht beherrschen. Vielmehr spüren wir in uns eine Kraft, die uns dann auch das weniger Schöne in unserem Leben ertragen lässt, ohne dass wir daran zerbrechen. Ganz gleich wie die Welt um uns herum ist, eine schöne Feier lässt uns mit mehr Zuversicht und Hoffnung ins Leben schauen. PATER DR. ANSELM GRÜN, ABTEI MÜNSTERSCHWARZACH Anselm Grün OSB (geb. am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen als Wilhelm Grün) ist deutscher Benediktinerpater, Autor spiritueller Bücher, Referent zu spirituellen Themen, geistlicher Berater und Kursleiter für Meditation, Kontemplation und geistliches Leben. Mit rund 300 lieferbaren Titeln, die bisher in einer Gesamtauflage von über 14 Millionen weltweit verkauf t wurden, ist Pater Anselm Grün einer der meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwar t. Seine Bücher wurden in dreißig Sprachen übersetzt. www.anselm-gruen.de DIVINO MAGAZIN·Nº 2/2022 21 PATER ANSELMS KOLUMNE
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